Das Ende der Gehorsams-Kultur: Was exzellente Unternehmen anders machen

Das wirtschaftliche Klima wird zunehmend rauer. Viele Unternehmen besinnen sich auf vermeintlich „gute alte“ Tugenden – und treten gerade deshalb auf der Stelle. Unsere Beratungspraxis und gemeinsame Arbeiten mit Professor Dieter Frey von der LMU München zeigen: Um in einem hoch dynamischen Umfeld innovativ und erfolgreich zu sein, bedarf es eines neuen Verständnisses von Management und Zusammenarbeit.

Fragt man im Ausland nach typisch deutschen Tugenden, hört man unter anderem oft Begriffe wie „Genauigkeit“, „Pünktlichkeit“ und „Zuverlässigkeit“. Eigenschaften also, die eng mit dem Qualitätsbegriff „Made in Germany“ und der langjährigen Erfolgsstory als Exportweltmeister zusammenhängen.

Entsprechend ist das Denken und Handeln in vielen Organisationen geprägt. Möglichst alles lange und differenziert bedenken und planen, dann kommt am Ende schon die gewünschte Qualität raus. Perfekt muss es sein. Bloß keine Fehler machen! Denn Fehler und Korrekturen sind Zeichen von Schwäche. Und wer Schwäche zeigt, hat in einer Organisation mit klaren Prozessen und Strukturen nichts zu suchen.

Zwischen Schweigekartell und Perfektionismusfalle

So tun sich auch heute noch viele Manager und Führungskräfte schwer damit, offen mit Fehlern umzugehen. Stattdessen fordern sie in ihrem Perfektionismus eine „Null-Fehler-Denke“ und strafen Unzulänglichkeiten ab. Motto: Wir haben perfekte Prozesse und Strukturen. Möge niemand auf die Idee kommen, sie anzuzweifeln. Gute Arbeit macht, wer seine Vorgaben erfüllt. Kritik unerwünscht.

„Zeigen Sie mir jemanden, der noch keinen Fehler gemacht hat, und ich zeige Ihnen einen Menschen, der noch nie etwas geleistet hat.“

Theodore Roosevelt, 26. Präsident der USA

Die Auswirkungen einer solchen Gehorsams-Kultur werden deutlich, wenn Probleme nicht rechtzeitig benannt und – oft unter Mithilfe oder gar im Auftrag des Managements – unter den Tisch gekehrt werden. Ob das Desaster um den BER-Flughafen, der Volkswagen-Dieselbetrug oder Manipulationen beim ADAC – die Liste jüngster Skandale ist lang. In all diesen Fällen herrschte eine Atmosphäre des Schweigens und Vertuschens. Laut einer Studie von Ernest & Young sagen nur 45 Prozent der Angestellten, dass ihre Vorgesetzen eigene Fehler offenlegen würden. 57 Prozent der Befragten meinen gar, dass Fehler aktiv im Unternehmen vertuscht würden, um nicht selbst als Überbringer schlechter Nachrichten zum Bauernopfer zu werden.

Die Folgen dieses Kadaver-Gehorsams und Schweigekartells sind fatal. Erfolgsmarken wie ADAC, Deutsche Bank und Volkswagen haben einen Gutteil ihres Vertrauenskredits verspielt. Über „Made in Germany“ wird im Ausland oft nur noch geschmunzelt. Der Exportweltmeister ist angeschlagen. Und dies alles nicht trotz, sondern wegen einer falschen „Null-Fehler-Denke“. Zusammen mit übertriebenem Perfektionismus hat sie sich wie Mehltau über das Land gelegt, lähmt unsere Innovationskraft und gefährdet unsere weltweite Wettbewerbsfähigkeit.

Unternehmenskultur innovativer Spitzenunternehmen

In einem hoch dynamischen Zeitalter haben alte Denkmodelle, Führungsstile und Planungsmuster ausgedient. Zusammen mit Professor Dieter Frey, Leiter des Center for Leadership and People Management am Department für Psychologie der LMU München, haben wir erforscht, was eine innovative Unternehmenskultur ausmacht. Zwar haben alte Werte wie Qualität und Zuverlässigkeit nicht ausgedient, werden aber durch neue Tugenden wie Kreativität, Risikofreude, Fähigkeit zum Perspektivenwechsel oder auch konstruktivem Eigensinn auf eine neue Dimension gehoben. So entstehen Teams, Abteilungen oder Unternehmen im Sinne eines „Center of Excellence“, die sich höchsten Standards verpflichtet haben und darin führend sind. Sie bieten nicht nur innovative Produkte und herausragende Serviceleistungen, sondern schaffen es, sich immer wieder rasch an die Anforderungen der Kunden und des Marktes anzupassen sowie neue Trends zu setzen.

„Es macht keinen Sinn, kluge Köpfe einzustellen und ihnen dann zu sagen, was sie zu tun haben. Wir stellen kluge Köpfe ein, damit sie uns sagen, was wir tun können.“

Steve Jobs, Apple-Gründer und Unternehmerlegende

Ein solches „Center of Excellence“ lässt sich nicht am Reißbrett entwerfen und schon gar nicht „von oben herab“ verordnen. Vielmehr ist es Ausdruck eines neuen Verständnisses von Management und Zusammenarbeit, das den einzelnen Menschen mit seinen kreativen Potenzialen verstärkt in den Mittelpunkt stellt und in der Organisation zur Entfaltung kommen lässt. Typisch sind dabei folgende Charakteristika und Kulturelemente:

  • Kundenorientierungs- und Wertschöpfungskultur: Im Mittelpunkt des gemeinsamen Denkens und Handelns stehen Kunde, Markt und Gesellschaft. So wird der Wertbeitrag eines Unternehmens für das eigene Umfeld ebenso hinterfragt, wie der Beitrag des einzelnen für das Unternehmen selbst. Kundenzufriedenheit ist dabei oberstes Gebot, doch auch übergeordnete Nachhaltigkeitsziele sind zunehmend Schlüssel für den ökonomischen Erfolg, die Akzeptanz und letztlich die Überlebensfähigkeit von Organisationen.
  • Unternehmer- und Exzellenzkultur: Mitarbeitende werden als Unternehmer im Unternehmen verstanden. Mit ihren Talenten werden sie als mündige und motivierte Persönlichkeiten geschätzt, so dass sie bereit sind, Höchstleistungen zu erbringen und im Sinne eines Intrapreneurs eigene Entwicklungen voranzutreiben.
  • Fehler- und Problemlösekultur: Beschwerden von Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden, auftretende Fehler oder öffentliche Kritik werden nicht allein als Alarmsignal betrachtet – sie sind vor allem wertvolle Impulse für Verbesserungen. Daher stellen alle Beteiligten einander neugierig kritische Fragen, benennen Probleme und entwickeln zugleich verantwortungsbewusst selbst konstruktive Lösungsvorschläge.
  • Benchmark- und Implementierungskultur: Alle Beteiligten pflegen aus ihrer Position heraus den „Blick über den Tellerrand“. So werden neue Kundenanforderungen ebenso registriert wie die neuesten Entwicklungen der Wettbewerber, um aus dem Wissen um die eigenen Stärken und Schwächen die Prozesse und Produkte im eigenen Unternehmen ständig weiterentwickeln. Handlungsfelder werden offen angesprochen, um gemeinsam neue Konzepte und Lösungen zu entwickeln und zeitnah zu implementieren.
  • Streit- und Konfliktkultur: Unkritisches Arbeits- und Entscheidungsverhalten verhindert Neuerungen und verschärft bestehende Krisen. Daher werden Mut zum Widerspruch, Querdenken, Zivilcourage und das Vertreten des eigenen Standpunkts auf allen Ebenen gefordert und gefördert. Konstruktiv ausgetragene Interessenkollisionen und Konflikte sind Triebfedern für kontinuierliche Entwicklungen und Verbesserungen.
  • Phantasie- und Kreativitätskultur: Neue Wege erfordern neues Denken. Über neue Formen und Methoden der Zusammenarbeit werden Fantasie, Kreativität und „schöpferischem Chaos“ die Tür geöffnet. Jenseits starrer Abläufe und Regeln finden sich neue Freiräume für spielerisches Ausprobieren und Fantasieren, um innovative Produkte, Prozesse und Dienstleistungen zu entwickeln.
  • Team- und Synergiekultur: Spitzenleistung entsteht im Zusammenspiel über Bereichs- und Organisationsgrenzen hinweg. Starke Teams zeichnen sich durch ein buntes Gemisch an Erfahrungen, Talenten und Persönlichkeiten aus. Bei aller Heterogenität verbindet Teammitglieder ihre Begeisterung für die Aufgabe, die Fokussierung auf das gemeinsame Ziel sowie ein Set an akzeptierten Spielregeln und Werten. Durch dieses sozial-emotionale Band entsteht ein Zusammenspiel, in dem das ganze Team mehr bewirkt als die Summe der einzelnen. 
  • Rekreations- und Spaßkultur: Spitzenleistungen sind nur möglich, wenn alle Beteiligten sich nicht dauerhaft überfordern. Mitarbeitende sind keine „Output-Instrumente“, die über unbegrenzte Energieressourcen verfügen. Daher achten exzellente Unternehmen auch auf rekreative Aspekte im Arbeitsalltag, um die Gesundheit, Leistungsfähigkeit und Motivation der Mitwirkenden sicherzustellen. Dabei sollten Abwechslung und Spaß nicht zu kurz kommen. 

Der Weg zum „Center of Excellence“ ist für alle Beteiligten kein leichter. Er erfordert das Überdenken und Aufgeben liebgewonnener Gewohnheiten sowie das Verlassen der eigenen Komfortzone. So müssen Führungskräfte beispielsweise lernen, loszulassen und stärker als Befähiger, Begleiter und Möglichmacher zu agieren. Auch empfinden viele Mitarbeitende die neuen Freiräume und Optionen zunächst oft als verwirrend, so dass sie ebenfalls in ihre neue Rolle hineinwachsen müssen. Dennoch lohnen sich die gemeinsamen Anstrengungen, sichern sie doch die Zukunft des Unternehmens und bringen den Beteiligten eine neue Qualität von Arbeit. Mehr Selbstverwirklichung und Spaß garantiert.

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